patient on a stretcherPhoto by Pavel Danilyuk on <a href="https://www.pexels.com/photo/patient-on-a-stretcher-6754173/" rel="nofollow">Pexels.com</a>

Fallbeispiel aus dem Rettungsdienst: Akute Atemnot in belebter Innenstadt

Ein sonniger Samstagmittag, Innenstadt – volle Fußgängerzone, Straßenmusiker, Passanten, hektisches Treiben. Wir werden zu einem Einsatz mit dem Stichwort „Atemnot – unklare Ursache“ alarmiert. Die Leitstelle teilt mit: männlicher Patient, etwa Mitte 60, stark dyspnoisch, sitzend auf einer Parkbank. Die Polizei ist bereits vor Ort, um den Bereich abzusichern.

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Einsatzbeginn und Ersteindruck

Beim Eintreffen sehen wir den Patienten schon aus der Entfernung: Er sitzt mit nach vorne geneigtem Oberkörper, die Arme auf die Oberschenkel gestützt – klassische Kutschersitz-Position. Er ist deutlich tachypnoisch, die Atemhilfsmuskulatur arbeitet sichtbar, die Lippen sind zyanotisch. Um ihn herum stehen mehrere Passanten, einige besorgt, andere nur neugierig.

Ich stelle mich vor, verschaffe mir schnell einen Überblick und bitte meinen Teampartner, das Monitoring vorzubereiten. Parallel fordere ich die Polizei auf, den unmittelbaren Bereich freizuhalten, um dem Patienten Privatsphäre und uns Arbeitsraum zu verschaffen.

Erstuntersuchung und Vitalparameter

Die initiale Untersuchung ergibt:

  • Bewusstseinslage: ansprechbar, orientiert, aber kurzatmig (A – frei, B – deutlich erschwert, C – kompensiert)
  • Atemfrequenz: 30/min
  • SpO₂: 82 % (ohne O₂)
  • Puls: 110/min, regelmäßig
  • Blutdruck: 165/95 mmHg
  • Haut: kühl, leicht feucht
  • Auskultation: deutliches Giemen und Brummen beidseits, insbesondere exspiratorisch

Auf Nachfrage berichtet der Patient, seit etwa 30 Minuten zunehmend schlecht Luft zu bekommen. Er habe eine bekannte COPD und das Gefühl, „die Luft bleibe einfach weg“. Er habe heute seine Notfallmedikation (Salbutamol-Dosieraerosol) bereits mehrfach benutzt – ohne spürbare Besserung.

Diagnostische Einschätzung

Das klinische Bild spricht für eine akute Exazerbation einer COPD (AECOPD) mit bronchialer Obstruktion und beginnender respiratorischer Insuffizienz. Keine Zeichen für kardiale Dekompensation oder Lungenödem (keine feuchten Rasselgeräusche, keine ausgeprägte Beinödeme).

Da der Patient bereits Sauerstoffsättigungen unter 85 % zeigt, entscheiden wir uns für eine sofortige Therapie.

Therapie und Maßnahmen

  1. Sauerstoffgabe:
    Beginn mit 2 L/min über Nasenbrille – Zielwert Sättigung 88–92 % (COPD-Patienten – CO₂-Retention beachten!).
  2. Inhalative Medikation:
    • Vernebelung mit Salbutamol 2,5 mg + Ipratropiumbromid 0,5 mg in 3 ml NaCl über O₂-getriebenen Vernebler.
    • Patient soll selbstständig atmen, ruhig und gleichmäßig inhalieren.
  3. Monitoring:
    EKG, SpO₂, Blutdruck, Atemfrequenz kontinuierlich überwacht.
  4. Kommunikation und Betreuung:
    Ich bleibe währenddessen in Blickkontakt, erkläre jeden Schritt ruhig: „Sie machen das super. Versuchen Sie, langsam zu atmen – wir unterstützen Sie, gleich wird es leichter.“
    Diese beruhigende Kommunikation ist entscheidend: Angst verstärkt Dyspnoe und kann eine Panikreaktion auslösen.
  5. Transportvorbereitung:
    Während der Vernebelung bereitet mein Kollege die Trage vor. Nach etwa 10 Minuten zeigt sich eine deutliche Besserung:
    • SpO₂ steigt auf 90 %
    • Atemfrequenz sinkt auf 24/min
    • Der Patient kann wieder in vollständigen Sätzen sprechen

Wir entscheiden uns für einen Transport unter Monitoring in die nächstgelegene Klinik mit pneumologischer Abteilung. Während der Fahrt erhält der Patient eine zweite Inhalationseinheit. Wir dokumentieren Verlauf und Maßnahmen lückenlos.

Übergabe in der Klinik

Bei der Übergabe an den aufnehmenden Arzt beschreibe ich kurz, aber strukturiert nach dem ABCDE-Schema den Verlauf, die Maßnahmen und die Reaktion auf die Therapie. Das Klinikteam übernimmt und plant eine weitere Behandlung mit systemischen Steroiden und ggf. Antibiotikatherapie.

Nachbesprechung und Lehren

Dieser Einsatz zeigt exemplarisch, wie wichtig strukturiertes Handeln unter Stress ist:

  • Eine klare Teamkommunikation ermöglicht effiziente Abläufe, auch in einer belebten Umgebung.
  • Ruhige Patientenansprache kann die subjektive Atemnot spürbar reduzieren.
  • Das Wissen um krankheitsspezifische Besonderheiten (z. B. CO₂-Retention bei COPD) verhindert therapeutische Fehler wie eine zu hohe O₂-Gabe.
  • Schließlich verdeutlicht der Einsatz, dass Sicherheit und Privatsphäre des Patienten auch im öffentlichen Raum Priorität haben – eine Aufgabe, die Teamkoordination und Einfühlungsvermögen erfordert.

Fazit:
Akute Atemnot ist ein hochdynamisches, potenziell lebensbedrohliches Symptom. Ein routiniertes Vorgehen, medizinisches Fachwissen und empathische Kommunikation sind entscheidend, um den Patienten stabil zu halten – und gleichzeitig im oft hektischen Umfeld des Rettungsdienstes einen professionellen, ruhigen Ablauf zu gewährleisten.

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